Es war ein regnerischer Nachmittag am Hafen von Whale’s Cemetary – diese Fischerinsel, welche nicht auf den Karten des Südpazifiks verzeichnet ist, trug diesen Namen wegen der Wale, welche immer wieder bereits tot an die Küsten rund um die kleine Insel gespült werden – als ich aus den Tiefen des Ozeans zurückkehrte. Mein Unterseeboot, welches nicht nur als Transportmittel zu meiner Verfügung stand, sondern auch als mein trautes Heim diente, legte ich am Hafen an, um mich an Land um Nahrungsmittel zu kümmern. Ich verfügte zwar selbst über ein Fischernetz, doch mein U-Boot wird von der Morphologie des Meeres für ein enormes Raubtier gehalten, was das Fischen gar unmöglich macht.
Wie bereits erwähnt, hatte ich mich dazu entschlossen, mein Leben Unterwasser, in völliger Isolation zu verbringen. Meine Lungen waren zwar merkwürdigerweise in der Lage Sauerstoff aus Wasser zu filtern, was das Leben unter den Wellen ermöglichen würde, doch es geschahen immer wieder seltsame Vorfälle auf Whale’s Cemetary und um die Insel herum, weshalb ich zu meiner eigenen Sicherheit beschloss, in einem U-Boot zu hausen.
Wie bereits erwähnt, spülen die Strömungen des Ozeans immer wieder Walkadaver an die Küsten. Manche von ihnen tragen Spuren eines Kampfes auf ihrer Haut, so wie Pottwale, die abtauchen, um Jagd auf einen Riesenkalmar zu machen, doch diese Spuren waren zu groß, um von einem Riesenkalmar zu stammen. Etwas noch größeres, noch tödlicheres lauerte irgendwo unter den Wellen. Man erzählt sich, dass diese Spuren von den Saugnäpfen eines unglaublich großen Kopffüßers stammen, was natürlich niemand bisher beweisen konnte, obwohl jeder, der auf der Insel lebte, schon einmal des Nachts diese beweglichen Dinger aus dem Meer ragen sah. Enorme, rudimentäre Greiforgane; ein Anblick, tausendmal finsterer, als jede Art von Albtraum, die erdenklich ist. Dies ist auch der Hauptgrund dafür, warum ich mich nie weit von der Insel entfernte.
Doch manchmal kann ich einfach nicht mehr widerstehen, meine Schwimmflossen anzulegen und das U-Boot zu verlassen, um unter den Wellen zu weilen und das weite Meer wegen seiner unendlichen Schönheit zu durchstreifen. Wenn dies der Fall war, schwamm ich immer in die Nähe dieses versunkenen Aquädukts; es musste einmal vor langer Zeit, in glänzender Pracht, über dem Pazifik gestanden haben – wobei niemand eine Antwort dafür hat, warum es dort stand oder gar wer es erbaut hat – doch nun lag es in Trümmern unter den ewig währenden Wellen begraben. Es gab diverse Theorien dazu, warum dieses marine Bauwerk unterging: Erdbeben, Kaventsmänner, eventueller Beschuss, doch die verrückteste Theorie war immer noch, dass dieses achtarmige Seemonster es niederriss, um darunter hausen zu können und seiner Beute aufzulauern.
Es ist inzwischen bekannt, dass Kopffüßer über gewisse Intelligenz verfügen, und ich spreche hierbei über Exemplare normaler Größe; man möchte sich vorstellen, wie intelligent ein überdimensioniertes Exemplar, wie dieses Seeungeheuer, sei. Ein Gehirn, wesentlich größer als ein durchschnittlicher Mensch; wenn man so darüber nachdenken möchte, halte ich letztere Theorie sogar für am wahrscheinlichsten! Ich persönlich glaube, dass eine solche Entität auch über ein Bewusstsein verfügt und sich seiner Macht im Klaren ist, was die getöteten, jedoch nicht verschlungenen Wale erklären würde; es tötet nicht nur um zu überleben, sondern auch weil das Aquädukt sein Revier ist, und alles, was dem Aquädukt zu nahe kam, musste ein schreckliches, gar abscheuliches Schicksal erfahren.
Nachdem ich mich um meine Vorräte gekümmert hatte, stieg ich durch die Luke zurück in mein U-Boot, um erneut unter den Wellen zu verweilen. Ich machte mich auf die Suche nach einer Schar von Walen, beziehungsweise Delfinen, weil mich die Einsamkeit überkam. Am frühen Abend wurde meine Suche reich belohnt. Eine Gruppe von Blauwalen war ungefähr fünf Kilometer von Whale’s Cemetary entfernt, mit drei Kälbern unterwegs. Es war eine Gelegenheit, die ich mir auf gar keinen Fall entgehen lassen wollte, also ließ ich das U-Boot an der Wasseroberfläche treiben, legte meine Flossen an und stieg aus meinem submarinen Gefährt, um für eine Weile mit den Walen zu schwimmen. Ich wusste nicht, wie lange ich unter Wasser war – es musste sich dabei um zwei Stunden handeln – als plötzlich ein vermeintliches Seebeben meine Waltherapie unterbrach, indem es die Wale dazu aufscheuchte, die Flucht zu ergreifen. Und dann geschah es…
Das Beben verstärkte sich immens, als aus den Trümmern des Aquädukts unter mir zwei monolithische, bräunlich rote Fangarme Richtung Walherde schossen, diese umringten und keine Chance zum Entkommen ließen. Das reine Muskelgewebe war zu stark, als das auch nur ein einziger Wal hätte fliehen können, und so wurden sie gemeinsam in die Tiefe hinabgerissen, um vermutlich als Abendessen zu enden.
Die Todesangst, die mich überkam, war noch nicht einmal ein Ausdruck dafür, was ich empfand. Ich benötigte zwar keine Kiemen um zu atmen, doch der Horror, welchen ich gerade mit eigenen Augen sah, schnürte mir sowohl Wasser als auch Sauerstoff ab, als ich unter den Trümmern einen immens großen Augapfel hervorschielen sah. Es bestand kein Zweifel mehr daran, was das Aquädukt niederriss. Es handelte sich hierbei tatsächlich um einen Kraken mit dem Ausmaß eines Titanen!
Als mir endlich bewusst war, was mir gegenüber stand, schwamm ich einfach nur mehr so schnell ich konnte zurück zu meinem U-Boot, mit einem von Schrecken erfülltem Herzen. Doch es war noch nicht vorbei. Ein weiteres Seebeben kündigte erneute Bewegungen des mythologischen Seemonsters an. Ich blickte während der Flucht nach hinten, um zu sehen, was der Titan als nächstes im Visier hatte. Er wollte mich!
Seine monolithischen Fangarme dehnten sich nach mir, was mich dazu trieb noch panischer und noch schneller zu schwimmen, als seine rudimentären Greiforgane unerwarteter weise von mir abließen und sich ins Aquädukt zurückzogen, woraufhin ich jedoch meine Geschwindigkeit beibehielt. Aus der Ferne konnte ich schon mein U-Boot erblicken, als ich plötzlich in eine starke Strömung geriet. Mein U-Boot und ich wurden wie durch eine höhere Macht zurück zum Aquädukt gezogen. Anscheinend benutzte der Riesenkrake seinen schlundartigen Trichter, um mich durch die Strömung, die er damit erzeugte, zu sich treiben zu lassen. Das einzige, das ich noch tun konnte, war das U-Boot zu entern und im Inneren zu hoffen, dass der Titan davon ablassen würde, sobald er merkte, dass das U-Boot nicht genießbar ist.
Diese Entität war durchaus äußerst intelligent, denn nicht einmal Kopffüßer von normaler Größe konnten so derartig weit denken, und trotzdem hatte ich das Glück, dass mein U-Boot stählern und damit ungenießbar war. Das dachte ich zumindest.
Als mein Blick sich Richtung Bullauge richtete, sah ich einen der enormen Saugnäpfe daran haften. Das U-Boot knarrte und krachte wie verrückt, als das Monster es in seinen Fängen festhielt und wenige Momente später, konnte man von innen etwas dagegen schlagen und drücken hören; immer und immer wieder. Es musste sich hierbei um den kolossalen Schnabel des Kraken handeln, welcher versuchte das U-Boot zu knacken.
Das ganze hatte einen Vor- und einen Nachteil: der Schnabel war zwar nicht in der Lage sich durch das U-Boot zu beißen, doch das schien diese Entität schwer zu verärgern. Plötzlich gewann das U-Boot rasant an Geschwindigkeit, was dazu führte, dass ich ruckartig rücklings gegen die Seitenwand geschleudert wurde. Es war unüberhörbar, als die Saugnäpfe das U-Boot losließen, welches daraufhin quer durch die Gewässer geschossen wurde und einige Momente später am Meeresgrund an der Küste aufschlug.
Genau in diesem Augenblick kam es im Maschinenraum zu einer Explosion, welche die komplette Mechanik und sämtliche Sauerstoffakkumulatoren zerstörte. Der bereits verbogene Stahl wurde durch die Druckwelle komplett aufgesprengt, was dazu führte, dass das U-Boot mit Wasser volllief.
Ich musste es schleunigst verlassen, bevor es zu spät war! Der einzige Ausweg der mir blieb, war die Entsorgungsschleuse, so kämpfte ich mich durch die inneren Fluten, um mich selbst in das Meer zu spülen.
Der Schrecken, welchen ich von dieser Begegnung trug, saß tief. Trotz der Entkräftigung, die mich überkam, schwamm ich zurück nach Whale’s Cemetary, und als ich die Küste erreichte, musste ich in Ohnmacht gefallen sein.
Ich erwachte anscheinend zwei Tage später im schäbigen Krankenhaus der Insel. Man erklärte mir, dass ich bewusstlos an der Küste bemerkt wurde, woraufhin man mich sofort auf die Krankenstation gebracht hat. Als man mich befragte, was vorgefallen war, erzählte ich schmerzerfüllt von der Zerstörung meines U-Boots und davon, welcher achtarmige Albtraum unter dem versunkenen Aquädukt lauerte. Die Ärzte und Polizisten – welche das Bett in dem ich lag, umringten – verließen daraufhin das Zimmer und kehrten nach einigen Minuten zurück. Die Chefärztin erklärte mir, dass ich Ruhe und Schlaf benötigte, weswegen sie mich mit etwas ruhigstellte.
Ich dachte, dass das Schlimmste vorbei war, doch das wird es nie sein.
Als ich wieder erwachte, lag ich gefesselt auf einer Trage, welche in ein leeres Zimmer geschoben wurde. Ein Mann im weißen Kittel erklärte mir, dass ich mich in der psychiatrischen Anstalt von Whale’s Cemetary befände und erstmal eine ,,Weile‘‘ bleiben müsse, weil es weder ein versunkenes Aquädukt und auch kein Monster gäbe. Auch die Wunde an meinem Schädel sei lediglich das Produkt eines Unfalls.
Sie leugneten alles! Einfach alles! Ich allein weiß, was ich sah und was ich erlebte. Sie wissen von all dem und vertuschen es auch noch, diese korrupten Schweine.
Jede Nacht, wenn ich träume, sehe ich diese acht Tentakeln, und sie schlängeln sich immer um meinen Körper herum, während ich angebunden und wehrlos im Bett liege, um ihre Abdrücke auf der Haut über meiner Kehle zu hinterlassen…